Vom Sein zum Tun und umgekehrt

Industriestrassenzeitung 2016

Es war im Jahr 2004 – wieder einmal machte sich ein Jahrgang angehender KünstlerInnen und GestalterInnen Gedanken über ihre bevorstehenden Diplomarbeiten und den Sinn von all dem sowieso. Damals – noch fern von Bologna-Reformen und Punktesammelsystemen, als Begriffe wie «Kreativwirtschaft» und «Zwischennutzung» noch nicht erfunden waren – hatten einige dieser Kunststudenten einen Wunsch: sie wollten mehr Platz, einen Freiraum ausserhalb des schulischen Rahmens, wo Studierende verschiedener Sparten ihre Diplomarbeit umsetzen konnten. Diesen Wunsch erfüllten sie sich selber, suchten ein geeignetes leerstehendes Haus, handelten mit der Schule und der Liegenschaftsverwaltung des Kantons einen Vertrag aus, und schon bald zog die junge Horde mit viel Material und Motivation in die ehemalige Asylunterkunft am Reussport 5.

Einige verliessen Luzern bald, andere blieben. Die Belegschaft wechselte und im Gelben Haus wuchs eine Gemeinschaft.

Seit der Planung der neuen Bau- und Zonenordnung war absehbar, dass dieses Gebäude in Folge der Umzonung des Grundstücks zum Verkauf ausgeschrieben würde. Uns, der aktuellen Mieterschaft, wurde klar, dass das Gelbe Haus nur durch Kauf als kultureller Produktionsort weitergenutzt werden könnte. Wir informierten uns bei anderen Hausprojekten nach Erfahrungen bezüglich Organisationsformen und Vorgehensweisen beim Beschaffen der nötigen Gelder.

Gespräche mit Beteiligten von Atelierhäusern überzeugten uns vom Modell einer Stiftung, weil das Haus als Idee erhalten bleiben sollte – mit einer wechselnden Belegschaft, unabhängig von einzelnen Personen und deren finanziellen Möglichkeiten. Wir organisierten uns als Verein und verfassten ein Dossier, in welchem unsere Visionen erläutert wurden: die Gründung der Stiftung Gelbes Haus, welche die Räumlichkeiten langfristig zu bezahlbaren Konditionen an Kulturschaffende vermietet – kombiniert als Arbeits- und Wohnraum.

In Bezug auf unsere Kaufabsichten verzichteten wir bewusst auf eine Zusammenarbeit mit Medien. Die Folgen wären nicht absehbar gewesen. Stattdessen vertrauten wir auf unsere eigene Präsenz. In direktem Kontakt zu Kulturbeauftragten und PolitikerInnen konnten wir unser Anliegen differenziert darlegen. Dabei unterstützte uns vor allem die IG Kultur, die sich von Anfang an für das Gelbe Haus einsetzte, vermittelte und vernetzte.

Schon bald waren die ersten Vertreter von möglichen Geldgebern bei uns im Haus. Ausnahmsweise zogen wir Pullis ohne zerrissene Ärmel und Flecken an und waren ziemlich aufgeregt. Die fremden Besucher nahmen uns und unsere Anliegen ernst und schätzten unsere Authentizität. Wir waren überrascht.

Da wir keine Ahnung hatten, wie viel Geld wir beschaffen mussten, wie eine Stiftung funktioniert, was ein Baurechtsvertrag ist, wie wir das Vorkaufsrecht erhalten und in welchem Rahmen politisch gehandelt werden kann, nahmen wir Kontakt zu verschiedensten Menschen auf. Wir erhielten viele Ratschläge die uns weiterbrachten, oft auch verwirrten oder überforderten. Es wurde viel diskutiert, geplant und gestritten. Unser Unwissen, unsere Unsicherheit und daraus folgende Spekulationen erschwerten das Vorgehen genau zu planen. Strategien zu entwickeln war nicht einfach, da wir eigentlich nie Überblick über unsere eigene Situation hatten. Doch wir blieben motiviert.

Von der Entscheidung, das Haus zu bewahren, bis zum Abschluss des Kaufvertrags vergingen vier Jahre. Es waren strenge Jahre, mit mehreren Sitzungen pro Woche, hunderten von Telefonanrufen, to-do-Listen, auf denen bis heute nicht alles abgehakt ist…. Es galt, uns in Bereichen, die wir nicht als unsere Berufung sahen, einzuarbeiten. Wir recherchierten, verhandelten, rechneten, versuchten Excel-Tabellen korrekt auszufüllen bis unsere Köpfe beinahe platzten. Es war eine Arbeit, die sich nie als erledigt anfühlte – mit jeder Sache, die wir erledigen wollten, kamen wieder neue Aufgaben auf uns zu.

Strategien zur Entscheidungsfindung und Kommunikationskultur mussten zuerst aufgebaut werden. Aufgabenverteilungen und Zeitfenster wurden geplant, Arbeitsgruppen bildeten sich. Zwischendurch war Geldverdienen angesagt, und das Bedürfnis nach eigener künstlerischer Arbeit musste auch gestillt werden. Es war nicht einfach, sich von einem Projekt, in dem man auch lebt, zu distanzieren. Und doch bot dies auch gute Voraussetzungen für eine enge Zusammenarbeit. Wir mussten nichts Neues erfinden, sondern nur definieren was bereits am Laufen war. Es wurde viel zusammen gedacht, das war gut.

Wir waren gefordert, unser Haus zu zeigen, um sichtbar zu machen, wie all diese Kulturdinge entstehen. Dabei einigten wir uns auf das Konzept der Schaukäserei:

  • Wir erzeugen gute Produkte
  • Wir öffnen unsere (geputzte) Werkstatt
  • Wir erklären was wir tun, wir beantworten Fragen
  • Wir bleiben authentisch

Und – wir haben es tatsächlich geschafft! Im Herbst 2014 wurde die Stiftung Gelbes Haus gegründet, welche die Liegenschaft im Baurecht erwarb. Jetzt sind wir neuen Herausforderungen gestellt. Die Stiftung plant die Renovation des Gebäudes, um es langfristig zu erhalten, der Verein sorgt sich um das Leben darin. Als erstes haben wir im Garten Obstbäume gepflanzt und, um einen grossen Mehrzweckraum zu schaffen, eine Kellerwand rausgerissen. Wie es weiter geht, welche Initiativen entstehen und welche Visionen umgesetzt werden, wird von den zukünftigen Mietern abhängig sein. Durch die Unterstützung der Albert Koechlin Stiftung, Ernst Goehner Stiftung, Stadt Luzern, Kanton Luzern, kleinen Stiftungen und privaten Gönnern wurde die Finanzierung ermöglicht. Auch hätten wir unser Ziel nicht erreicht, ohne die lange Vorarbeit der Aktion Freiraum, Kulturoffensive, IG Industriestrasse und vielen anderen Engagements, die hartnäckig für eine städtepolitische Sensibilisierung in den Bereichen Kultur und Stadtentwicklung sorgten.

Text: Tatjana Erpen, Verein Gelbes Haus

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